
Alles Dunkle kann Licht werden
September 2017:
Ich liege in einer Hängematte an dem Lake Aniwhenua auf der Nordinsel Neuseelands, trinke ein erfrischendes Pale Ale und schaue den Maori Männern aus der Ferne beim traditionellen Hakka-Tanz zu, den sie einigen unserer Gruppe beibringen.
Am Abend finden wir uns alle an einem Lagerfeuer zusammen und lauschen den Geschichten der Maori. Es ist ein unheimliches Privileg, dass uns Reisenden hier gewährt wird.
Schon immer habe ich mich sehr für Mythen und Legenden anderer Kulturen interessiert, auch wenn ich sie auf rein rationaler Ebene für Unsinn halte. Zudem beinhalten sie fast immer Weisheiten, die sich durchaus auch auf unser heutiges Leben übertragen lassen.
Ich möchte in diesem Beitrag auf den Schöpfungsmythos der Maori eingehen:
>> Bevor das Licht kam, gab es nur die Dunkelheit & davor nichts. Davon wird in der Geschichte der Maori, die bis daher überliefert wurde, von deren Ahnen berichtet. Nach der Sage war es zu Beginn aller Zeiten Te Kore, das Nichts. Danach kam Te Po, die Nacht, die enorm lange und dunkel war.
Die große Nacht, die lange Nacht, die dunkle Nacht, die tiefschwarze Nacht, die mit Schatten beladene Nacht, die Nacht, in der nichts wahrnehmbar ist und die Nacht, die man spüren kann.
Als das erste Licht kam, war es nicht mehr als das Licht eines Glühwürmchens. Und als Sonne und Mond erschaffen wurden, konnte niemand sie sehen, nicht einmal die Nachkommen von Ranginui – der Himmel – und Papatuanuku – die Erde. Ranginui und Papatuanuku lagen eng umschlungen und zwischen ihnen die Kinder, die sie gezeugt hatten. Alle lagen die in tiefster Finsternis, bis das erste Licht sie umgab. Der Anfang kam aus dem Nichts.
Ranginui, der Himmel, lebte mit Papatuanuku, der Erde, verbunden und das Land entstand. Die sehr zahlreichen Kinder von Rangi und Papa, die keine menschliche Gestalt hatten, lebten in der Dunkelheit, weil ihre Eltern noch nicht voneinander getrennt waren. Der Himmel lag noch auf der Erde und kein Licht konnte eindringen. Der unterste der zwölf Himmel, der auf der Erde lag, machte sie unfruchtbar. Ihre Pflanzenschicht bestand aus kriechenden und rankenden, niedrigen Kräutern & das Meer war noch dunkel, wie die Nacht. Die Zeit schien endlos zu sein.
Schließlich setzten sich die Kinder von Rangi und Papa, die der andauernden Dunkelheit überdrüssig waren, zusammen, um zu entscheiden, was mit ihren Eltern geschehen sollte, auf dass die Menschheit entstehen konnte.
„Sollen wir unsere Eltern töten, sollen wir sie erschlagen, unseren Vater und unsere Mutter, oder sollen wir sie voneinander trennen?“ Und lange überlegten sie in der Dunkelheit.
Dann sprach Tumatauenga, der grimmigste der Nachkommen und Wächter des Krieges: „Das ist gut, lass uns sie töten.“
Aber Tanemahuta, der Wächter des Waldes, antwortete: „Nein, so geht es nicht. Es wäre besser, sie voneinander zu trennen, den Himmel weit über uns nach oben zu erheben und die Erde hier unten liegen zu lassen. Lasst den Himmel uns fremd sein, die Erde aber soll nahe bei uns bleiben als unsere sorgende Mutter.“
Andere Söhne, auch Tumatauenga, sahen die Weisheit in diesem Vorschlag und stimmten zu.
Andere stimmten nicht zu und einer von ihnen, Tawhirimatea, der Hüter der Winde und Stürme, war jetzt und für alle Zeiten uneins mit seinen Brüdern. Denn Tawhirimatea, um seine königliche Stellung bangend, wünschte nicht, dass seine Eltern getrennt würden. Während einige zustimmten, blieb Tawhirimatea still und hielt seinen Atem an. Und lange berieten sie weiter. Nach langer Zeit, die kein Mensch messen kann, entschieden sie, dass Ranginui und Papatuanuku auseinander getrieben werden, und sie begannen einer nach dem anderen, dies in die Tat umzusetzen.
Als erster erhob sich Rongomatane, Wächter des Ackerbaus, und bemühte sich, den Himmel von der Erde zu trennen. Nachdem ihm das nicht gelang, erhob sich als nächster Tangaroa, Hüter der Meeresbewohner, und strengte sich mächtig an, hatte aber kein Glück. Dann versuchte es Haumiatiketike, Wächter der Früchte der Natur, ohne Erfolg. Dann sprang Tumatauenga, Wächter des Krieges, auf. Er schlug auf die Sehnen, die Himmel und Erden zusammenhielten, ein bis sie bluteten. Dieses Blut erschuf Ocker, den roten Lehm, die heilige Farbe. Tumatauenga, der grimmigste der Kinder, konnte mit all seiner Stärke Ranginui nicht von Papatuanuku abtrennen.
Dann kam Tanemahuta an die Reihe. Langsam, so langsam wie der Kauribaum wächst, erhob sich Tanemahuta zwischen Erde und Himmel. Zuerst kämpfte er mit den Armen, ohne Erfolg. Deshalb legte er eine Pause ein, die enorm lange dauerte. Dann stemmte er, mit den Schultern auf seiner Mutter, der Erde liegend, seine Füße gegen den Himmel. Bald und doch nicht bald, weil es lange dauerte, begannen Himmel und Erde nachzugeben.
Die Eltern schrien auf und fragten sie: „Warum begeht ihr dieses Verbrechen, warum wollt ihr die Liebe eurer Eltern töten?“
Der große Tanemahuta streckte sich mit all seiner Kraft, der Kraft des Wachstums. Weit unter ihm drückte er gegen die Erde, weit oben stieß er gegen den Himmel und hielt ihn dort oben. Die Sehnen, die beide verbanden, dehnten sich immer weiter. Jetzt hieb Tumatauenga auf die Verbindungen ein und Blut ergossrot auf die Erde. Heute ist dies Kokowai, die heilige rote Erde, die entstand, als das erste Blut am Anfang der Zeit vergossen wurde. Sobald Tanemahutas Werk vollendet war, trat die Vielfalt aller Kreaturen, die Ranginui und Papatuanuku gezeugt hatten, zutage, die zuvor das Licht niemals gekannt hatten. << (Diese Nacherzählung des Schöpfungsmythos der Maori orientiert sich an: Reed, A. W.; Turner, D. (1999): Maori myths & legendary tales. Auckland.)
Es gibt nicht nur unterschiedliche Versionen dieser Legende, sondern auch noch anders ausgestaltete Schöpfungsmythen. Die überaus deutliche Gemeinsamkeit aller ist jedoch das Motiv, dass aus Dunkelheit Licht wird, dass aus dem Zustand der Ungeschaffenheit alles geschaffen wird, dass Himmel und Erde getrennt werden, damit sich die Natur entwickeln kann.
Und genauso ist es auch mit unseren Gedanken. Alles Dunkle in unseren Köpfen kann zu Licht werden, wenn wir nur fest daran glauben und an uns arbeiten.
Die Gelassenheit, der Stolz und die glücklichen Gesichter der Maori haben sich fest in meine Gedanken und in mein Bewusstsein gebrannt. Auch nach meiner Rückkehr denke ich oft an die Geschichten. Ich gönne mir viel öfter den Moment des Innehaltens, des Durchatmens und der Entschleunigung unseres, viel zu schnellen Alltags. Ich gebe nicht nur meinem Körper, sondern auch meinem Geist die Möglichkeit sich auszuruhen und neue Kraft zu schöpfen. Damit ich an jedem nächsten Tag mit ein bisschen mehr Licht in meinen Gedanken starte.
Geschrieben von Dana Schindler, Hobby-Bloggerin